Gold findet ideale Rahmenbedingungen vor und kommt - abgesehen von ein paar Prozent Kurssteigerung durch aktuellen Russland-Ukraine-Konflikt - nicht so recht vom Fleck. Nun hat die FED für nächste Woche die erste Zinserhöhung angekündigt und damit einen neuen Zinserhöhungszyklus eingeläutet. Es stellt sich die Frage: Wie schlägt sich Gold in Zeiten von Zinserhöhungen? Kann das funktionieren? Denn Zinserhöhungen sind theoretisch schlecht für Gold, weil steigende Zinsen auch den Realzins steigen lassen und Gold als renditetotes Metall gegenüber den steigenden Anleiherenditen relativ gesehen uninteressanter wird.
Wie auch in den vorherigen Analysen dieser Art soll ein kleiner Blick in die Vergangenheit helfen. Ich habe mir die letzten 6 Zinserhöhungenphasen der US-Notenbank seit den 80er im Kontext mit weiteren Gold-relevanten Kennzahlen angesehen, um der Antwort näher zu kommen wie Gold durch die anstehende Zinserhöhungsphase navigieren könnte. Als Resultat kann es hier keine Kauf- oder Verkaufsempfehlung geben, aber ein paar Insights zum BigPicture.
Zunächst einmal kann man im Chart sofort erkennen: Es gab Zinserhöhungsphasen sowohl mit steigendem als auch mit fallendem Goldkurs. Zwei Phasen mit fallenden, zwei Phasen mit etwa gleich bleibendem, und zwei Phasen mit steigenden Goldpreis. 2:2. Oder eben 3:3, wenn ich die Phasen unveränderter Kurse berücksichtige. Also ausgewogen. Merken wir uns das 3:3 für später. Was auf den ersten Blick nach keiner klaren Tendenz und keiner klaren Regel aussieht, birgt auf den zweiten und dritten Blick doch einige interessante Details.
In den Gesamtkontext gehört die grundsätzliche Annahme, dass nicht nur das absolute Zinsniveau, sondern auch das Tempo der Zinserhöhung absolut entscheidend ist. Und damit gehts in die Details. Reingezoomt sieht man:
-Die letzte Zinserhöhung um 1,00% gab es im Jahr 1989. -Die letzte Zinserhöhung um 0,75% gab es im Jahr 1994. -Die letzte Zinserhöhung um 0,50% gab es im Jahr 2000. -Danach gab es nur noch Zinserhöhungen um 0,25% -Die letzten 17 Zinserhöhungen waren Zinsschritte um jeweils 0,25%.
Die Notenbank agiert auffallend langsamer und damit deutlich marktschonender als früher. Das hat auch leicht nachvollziehbare Gründe: Die Wirtschaft kann sich auf vieles einstellen, aber alle Mechanismen brauchen Zeit zur Anpassung und die Notenbank gesteht der Wirtschaft dies auch zu. Man könnte auch sagen die Notenbank hat über die Jahrzehnte dazugelernt. Keine Zinspolitik mit der Brechstange, sondern maßvoll. Die Negativ-Effekte von abrupten und zu schnellen Zinserhöhungen überwiegen die gewünschte Lenkungswirkung einer Zinserhöhung zur Inflationsbekämpfung.
Beispiel: -Eine Zinserhöhung von 10% auf 11% entspricht 1 Prozent bzw. 10 Prozentpunkte. -Eine Zinserhöhung von 0,25% auf 1,25% entspricht ebenfalls 1 Prozent, aber satten 400 Prozentpunkten.
Der klassische Basiseffekt kann schnell zu einem Problem werden. Eine Vervielfachung der Zinsaufwendungen in einem Schritt würde die Finanzierungsmodelle vieler Unternehmen auf einen Schlag komplett in Frage stellen. Und diese Politik der neuen Langsamkeit kommt letztlich auch Gold zugute. Anpassungsreaktionen werden zeitlich gestreckt und sind für alle Märkte leichter verdaulich. Um dies sichbarer zu machen habe ich im Chart die absolute Erhöhung und zum besseren Vergleich die annualisierte Erhöhung ergänzt (in der Sprechblase abgekürzt mit "Erhöhung ann.").
Die annualisierten Raten in den jeweiligen Zinserhöhungsphasen: -ab 1984: 6,50% -ab 1988: 3,25% -ab 1994: 3,00% -ab 2000: 1,75% -ab 2005: 2,12% -ab 2016: 0,75%
Wie performte Gold in Zinserhöhungsphasen? Ein paar Insights zum Chart:
Erkenntnis 1: Gold ist in 2 der 3 letzten Zinserhöhungsphasen gestiegen. Erkenntnis 2: Nur die letzten 3 Zinserhöhungsphasen sind in ihrer Struktur der heutigen Zeit sehr ähnlich. In puncto Erhöhung pro Zinssschritt und Dauer der Zinserhöhungsphase entspricht es dem, was man auch heute von der Zinspoltik erwarten darf. Frühere Zinserhöhungsphasen haben mit der heutigen Zinspolitik nur noch wenig zu tun. Seitdem die FED das Tempo ihrer Zinspoltik gedrosselt hat, kann Gold auch in Zinserhöhungsphasen steigen, obwohl ein Anstieg aus theoretischer Sicht erst einmal unlogisch erscheint. Denn immerhin beeinflusst ein höherer Zins auch den Realzins zu ungunsten von Gold. Erkenntnis 3: In keinem früheren Szenario ist der Realzins so deutlich negativ wie aktuell, sodass Gold weiterhin sehr gute Rahmenbedingungen vorfindet. Erkenntnis 4: Der Realzins sank leicht innerhalb der letzten 3 Zinserhöhungsphasen. Das könnte man damit begründen, dass die FED den Markt lange Zeit vorher auf die Zinswende vorbereitet und die Renditen am Anleihemarkt zum Zeitpunkt der tatsächlichen Zinserhöhung längst reagiert haben. Das erscheint mir durchaus plausibel, denn aktuell sind auch bereits 4 Zinserhöhungen voll im Markt eingearbeitet, obwohl es faktisch noch keine Zinserhöhung gab.
Wie eingangs schon erwähnt sind Zinserhöhungen theoretisch schlecht für Gold. Das ist in der Praxis mit einem oberflächlichen Blick auf die Kurse aber nicht mehr ohne weiteres zu erkennen, denn Ereignisse werden vorweg genommen. Bei einer rein stichtagsbezogenen Betrachtung wie hier muss man im Hinterkopf behalten, dass es im Zeitraum zwischen antizipierter, offiziell angekündigter und tatsächlicher Zinserhöhung Anpassungsreaktionen gibt. Wie eingangs schon festgestellt, steht es bei den letzten 6 Zinserhöhungphasen 3:3. Lässt man die ersten 3 Zinserhöhungphasen weg und betrachtet nur die letzten 3 Zinserhöhungphasen, dann wird aus dem 3:3 ein 2:1. Der "old Shit" damaliger Notenbankpolitik ist aus meiner Sicht nicht mehr mit der heutigen kompatibel. Ich denke es gibt gute Gründe nur Szenarien zu vergleichen, die einander wirklich ähnlich sind. Quasi Äpfel mit Äpfel und kein Äpfel-Birnen-Kompott.
Fazit: Die anstehenden Zinserhöhungen stehen nicht im Widerspruch zu einem steigenden Goldpreis. Wer also angesichts der kommenden Erhöhungen mit einem Goldinvestment hadert; dem sei gesagt: Es mag andere Gründe geben, aber historisch gesehen, sprechen Zinserhöhungen nicht grundätzlich gegen Gold. Inbesondere die durch den Russland-Ukraine-Konflikt explodierenen Rohstoffpreise werden die ohnehin schon sehr hohe Inflation weiter anheizen. Die Makrodaten bieten weiterhin günstiges Fahrwasser für das Edelmetall. Makrodaten sind aber keine guten Timing-Indikatoren für den ganz kurzfristigen Handel und deshalb als perspektivische Aussichten zu verstehen.
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