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Randfigur im Wirecard-Prozess lugt aus der Deckung

Die wichtigsten Punkte:
  • Erffa könnte als zweiter Angeklagter Geständnis ablegen
  • Chefbuchhalter hat anderthalb Jahre geschwiegen
  • Angeklagte Braun und Bellenhaus beschuldigen sich gegenseitig

Im Betrugsprozess um die spektakuläre Pleite des Finanzkonzerns WirecardWDI rückt der unscheinbarste der drei Angeklagten ins Rampenlicht. Während Ex-Chef Markus Braun und der geständige Auslandsmanager Oliver Bellenhaus sich seit anderthalb Jahren gegenseitig beschuldigen und ihre Anwälte sich immer wieder Wortgefechte liefern, schweigt der frühere Chefbuchhalter Stephan von Erffa. Er saß bei Wirecard zwischen Braun und Bellenhaus. Über seinen Schreibtisch gingen die Bilanzen, in denen laut Staatsanwaltschaft Milliardenbeträge gefälscht waren. Was wusste Erffa davon? In wenigen Wochen könnte der stille 49-Jährige seine passive Rolle aufgeben und damit neue Dynamik in den Münchner Prozess um einen der größten Finanzskandale der Nachkriegsgeschichte bringen. Erffa erwägt ein Geständnis, das den Kronzeugen Bellenhaus belasten oder Braun in Bedrängnis bringen könnte.

Der Dax-Konzern und Zahlungsdienstleister Wirecard brach im Juni 2020 zusammen, als aufflog, dass auf Treuhandkonten in Asien 1,9 Milliarden Euro fehlten. Um Vermögensreste und Schadenersatz ringen Kreditgeber und Anleger in zahlreichen Zivilprozessen. In einem Untersuchungsausschuss des Bundestags traten schwere Mängel der Finanzaufsicht zutage. Im Mittelpunkt jedoch steht der Strafprozess gegen Braun, Bellenhaus und Erffa, der seit Dezember 2022 vor dem Landgericht München läuft. Die Staatsanwaltschaft bezeichnet das Trio als Bande, die gewerbsmäßig betrogen, Bilanzen gefälscht, Finanzmärkte manipuliert und Gelder veruntreut habe.

Die Anklage stützt sich unter anderem auf ein Geständnis von Bellenhaus. Der frühere Statthalter von Wirecard in Dubai hat angegeben, auf Wunsch von oben jahrelang Tabellen mit erfundenen Umsätzen an die Konzernzentrale geschickt zu haben. "Excel. Viel mehr brauchte ich nicht", sagte Bellenhaus. "Wir lebten ein System des organisierten Betruges und Stephan von Erffa und ich waren dessen operative Säulen." Erffas Verteidiger haben dies zurückgewiesen. "Herr von Erffa war einzig und allein ein Werkzeug des Angeklagten Bellenhaus", sagte seine Anwältin Sabine Stetter.

Konzernchef Braun wurde nach eigener Darstellung von einer Gruppe um Bellenhaus und das frühere Vorstandsmitglied Jan Marsalek hinters Licht geführt. Diese hätten die fehlenden Milliarden nicht erfunden, sondern heimlich beiseitegeschafft. Marsalek ist untergetaucht und wird international gesucht. Braun hat als Hauptaktionär von Wirecard selbst ein Vermögen verloren. Doch das Gericht machte wiederholt deutlich, dass es an seinen Unschuldsbekundungen zweifelt. Als einziger Angeklagter sitzt der frühere "Mr. Wirecard" noch in Untersuchungshaft.

PSYCHOLOGISCHE UNTERSUCHUNG

Während Braun die Staatsanwaltschaft auf einer falschen Spur sieht und Bellenhaus mit seinem Geständnis auf eine milde Strafe hofft, verfolgen Erffas Anwälte eine andere Strategie. Wie im Gerichtssaal zur Sprache kam, war ihnen ihr Mandant bereits vor Prozessbeginn ungewöhnlich distanziert erschienen. Sie vermuteten psychische Einschränkungen, weshalb Erffa womöglich nicht voll zur Verantwortung gezogen werden könne. Zur Klärung beauftragte das Gericht Psychologen und einen Psychiater, Erffa nicht nur zu untersuchen. Die Gutachter saßen auch anderthalb Jahre lang im Gerichtssaal, um sich bei zahlreichen Zeugen nach Erffas Verhalten zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Taten zu erkundigen.

Doch nun bilanzierte der Psychiater Norbert Nedopil in der Gerichtsverhandlung: Ein Freispruch wegen Schuldunfähigkeit komme nicht infrage. Denn Erffa sei nicht krank - ein autistisches Leiden liege nicht vor. Allerdings schränkte Nedopil ein, er sei nur für krankhafte Störungen zuständig. Seitdem hakt Erffas Anwältin Stetter mit vielen Fragen bei den Psychologen nach, die Nedopil unterstützt hatten: Womöglich konnte der Zahlenmensch Erffa wegen einer nicht krankhaften Gefühlsblindheit nicht durchschauen, was um ihn herum vorging? Dafür hat das Gericht zwei weitere Tage eingeplant.

ERFFAS AUFTRITT IM JULI ERWARTET

Parallel haben sich Erffas Verteidiger jedoch inzwischen beim Gericht erkundigt, ob ihr Mandant wenigstens mit einem Geständnis eine Gefängnisstrafe abwenden könne. Als Höchststrafe stehen für jeden Angeklagten laut Gesetz bis zu 15 Jahre im Raum, falls eine Schuld erwiesen wird. Zwar reagierte Richter Markus Födisch schroff auf die Anfrage: Sogar mit Geständnis sei eine Bewährungsstrafe für Erffa "völlig illusorisch". Auch wenn er die Tatvorwürfe einräume, müsse er mit mehr als zwei, aber weniger als acht Jahren Gefängnis rechnen.

Dennoch arbeiten seine Anwälte weiter auf einen Deal hin. Diese Verhandlungen sollen nach Gerichtsangaben am 05. Juni fortgesetzt werden. Ob man sich dann bereits einig wird, ist zwar offen. Doch im Juli könnte Erffa dann sein Schweigen brechen, sagten Insider zu Reuters. Seine Anwälte lehnten eine Stellungnahme ab.

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