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Studie - Lieferengpässe kosten deutsche Industrie 64 Milliarden Euro

Chips, Kunststoffe, Verpackungen: Fehlende Vorprodukte aus dem Ausland kommen der deutschen Industrie einer Studie zufolge teuer zu stehen. Von Anfang 2021 bis Mitte 2022 konnten wegen Lieferengpässen Güter im Wert von knapp 64 Milliarden Euro nicht hergestellt werden, geht aus der am Montag veröffentlichten Untersuchung des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) hervor. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt hätte Ende 2021 um 1,2 Prozent und Mitte 2022 um 1,5 Prozent höher liegen können, wenn sämtliche Neuaufträge auch hätten abgearbeitet werden können. "Diese Zahlen untermauern den Bedarf, der Resilienz der Lieferketten künftig zulasten der Kosteneffizienz ein höheres Gewicht beizumessen", schreiben die Forscher.

Besonders stark betroffen von Lieferengpässen ist demnach die Automobilindustrie. Deren Wertschöpfung in Deutschland fiel wegen des Mangels an Vorprodukten um knapp 31 Milliarden Euro geringer aus, obwohl die Auftragsbücher prall gefüllt sind. In der Autobranche dürfte der Wertschöpfungsverlust den Wert der fehlenden Komponenten - häufig Halbleiter - um rund das Zehnfache übersteigen, so die Berechnungen der IMK-Experten Thomas Theobald und Peter Hohlfeld. Trotz der Engpässe hätten insbesondere Autokonzerne hohe Gewinne gemacht, weil sie sich auf die Produktion teurerer Fahrzeuge mit höherer Gewinnmarge konzentrierten und höhere Preise durchsetzen konnten.

Offen ist den Forschern zufolge noch, ob die Wertschöpfungsverluste dauerhaft oder vorübergehend sind. Für Letzteres spreche, dass die Auftragsbestände nach wie vor sehr hoch seien. "Allerdings wächst mit der zunehmend schwierigen Wirtschaftslage infolge des Ukraine-Kriegs das Risiko, dass zumindest ein Teil der Bestellungen, die noch nicht abgearbeitet wurden, storniert werden", so die IMK-Forscher.

Die bisherige geschäftspolitische Ausrichtung, mit der die deutsche Industrie in internationale Lieferketten eingebunden ist, erweise sich in weltwirtschaftlichen Stresssituationen alles andere als optimal, warnen Theobald und Hohlfeld. "Zu stark erscheint bisher der Fokus des Managements auf kurzfristige Kosteneffizienz." Bessere Resultate verspräche eine Strategie, die auf eine stärkere Resilienz, mehr Lagerreserven, Diversifikation und Nachhaltigkeit der Lieferketten setze. Eine solche Neuaufstellung sei umso wichtiger, "da die anhaltende Null-Covid-Strategie in China und neue geopolitische Spannungen im Zusammenhang mit den Konflikten in der Ukraine und mit Taiwan als international bedeutendem Halbleiterstandort neue Lieferengpässe nach sich ziehen können".

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